Dyspraxie ganzheitlich verstehen
- Gabriela Rossini

- 15. Juli
- 4 Min. Lesezeit

Mögliche Ursachen und Zusammenhänge aus entwicklungs- und körperorientierter Sicht
Dyspraxie – auch bekannt als Entwicklungsdyspraxie oder Developmental Coordination Disorder (DCD) – ist eine Koordinations- und Planungsstörung, die sich häufig bereits im frühen Kindesalter zeigt. Die betroffenen Kinder wirken oft „ungeschickt“, haben Mühe mit fein- oder grobmotorischen Abläufen, zeigen Auffälligkeiten beim Schreiben, in der Körperhaltung oder beim Anziehen. Manchmal fällt es ihnen auch schwer, Sprache flüssig zu formulieren oder alltägliche Handlungsabfolgen zu planen und umzusetzen.
In meiner Praxis begegne ich immer wieder Kindern mit dyspraxischen Anteilen – und ebenso Eltern, die nach Erklärungen suchen. In diesem Beitrag möchte ich einen ganzheitlichen Blick auf mögliche Ursachen werfen, ohne dabei den Anspruch zu erheben, „die“ eine Ursache benennen zu können. Vielmehr geht es darum, Zusammenhänge sichtbar zu machen, um individuelle Wege der Unterstützung zu eröffnen.
Was bedeutet Dyspraxie?
Dyspraxie beschreibt eine Einschränkung der Fähigkeit, Bewegungen gezielt zu planen und in eine koordinierte Handlung umzusetzen. Es handelt sich nicht um eine Muskel- oder Kraftproblematik, sondern um eine Herausforderung in der Verarbeitung, Integration und Ausführung von Bewegungsimpulsen.
Die Bandbreite der Ausprägung ist groß: Manche Kinder haben Schwierigkeiten beim Schreiben oder Schneiden, andere zeigen Probleme beim Gleichgewicht, beim Ballfangen oder beim Wechsel zwischen Bewegungen. Auch sprachliche, emotionale oder soziale Begleiterscheinungen sind möglich, da die ständige Anstrengung im Alltag das Selbstbild und die Motivation beeinflussen kann.
Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Dyspraxie
Die Forschung zeigt, dass Dyspraxie keine rein psychische oder soziale Störung ist, sondern neurologisch fundiert:
Neuronale Vernetzung: Studien mit bildgebenden Verfahren (z. B. MRT) zeigen bei betroffenen Kindern oft veränderte Strukturen und Verbindungen in Bereichen des Gehirns, die für Motorik und Planung zuständig sind – vor allem im Kleinhirn, Frontallappen und Basalganglien.
Motorische Planung und Ausführung: Dyspraxie wird mit einer verminderten Effizienz in der Kommunikation zwischen motorischen Zentren und sensorischen Regionen erklärt. Das Gehirn hat Schwierigkeiten, Bewegungsabläufe präzise zu koordinieren und vorherzusehen.
Sensorische Verarbeitung: Auffälligkeiten in der Verarbeitung von taktilen, propriozeptiven und vestibulären Reizen sind häufig. Diese sensorischen Schwierigkeiten führen zu einer schlechteren Körperwahrnehmung, die für die Motorik entscheidend ist.
Genetische Einflüsse: Es gibt Hinweise darauf, dass Dyspraxie in Familien gehäuft auftritt, was auf genetische Faktoren hinweist.
Mögliche Ursachen aus ganzheitlicher Sicht
Aus einer integrativen Perspektive lassen sich verschiedene Faktoren identifizieren, die mit der Entstehung oder Aufrechterhaltung dyspraxischer Symptome in Verbindung stehen können. Diese Ursachen können auf mehreren Ebenen angesiedelt sein:
1. Neurologische Reifung & sensorische Integration
Nicht integrierte frühkindliche Reflexe
Frühkindliche Bewegungsmuster wie unter anderem der Moro-Reflex oder der asymmetrisch-tonische Nackenreflex (ATNR) sollten im Laufe der ersten Lebensmonate integriert werden. Bleiben sie aktiv, kann dies die Körperspannung, Bewegungskoordination und Haltung beeinflussen.
Unreife der sensorischen Integration
Eine zentrale Rolle spielt auch die Art, wie Sinneseindrücke (vestibulär, propriozeptiv, visuell, auditiv, taktil) verarbeitet werden. Bei Dyspraxie zeigen sich häufig Unterschiede in der Wahrnehmungsverarbeitung, die es erschweren, Bewegungen im Raum zu organisieren oder mit dem eigenen Körper in stimmiger Verbindung zu bleiben.
2. Frühkindliche und pränatale Einflüsse
Geburtserfahrungen
Faktoren wie ein geplanter Kaiserschnitt, eine sehr schnelle oder sehr lange Geburt oder ein Sauerstoffmangel während der Geburt können die frühkindliche Entwicklung beeinflussen – vor allem die Integration von Reflexen und die Reifung des Nervensystems.
Frühgeburtlichkeit
Bei Frühchen sind bestimmte Reifungsprozesse des Gehirns und der sensorischen Systeme oft noch nicht vollständig abgeschlossen, was später zu Koordinations- oder Wahrnehmungsbesonderheiten führen kann.
3. Biologische & ernährungsbezogene Aspekte
Nährstoffversorgung
Für die Reifung des Gehirns sind bestimmte Mikronährstoffe essenziell – etwa Omega-3-Fettsäuren, Magnesium, B-Vitamine (besonders B6), Eisen, Zink und Vitamin D. Mangelzustände in sensiblen Entwicklungsphasen können sich unter anderem auf Konzentration, Impulssteuerung und Koordination auswirken.
Darm-Hirn-Achse
Die Bedeutung des Mikrobioms für die neurologische Entwicklung wird zunehmend erforscht. Eine unausgeglichene Darmflora kann unter anderem die Produktion von Neurotransmittern und die Regulation des Nervensystems beeinflussen.
4. Emotionale & psychosoziale Faktoren
Frühe Bindungserfahrungen
Sichere emotionale Bindung unterstützt nicht nur die seelische, sondern auch die körperliche Entwicklung. Wenn diese Bindung gestört oder unsicher ist, kann sich das in motorischen Auffälligkeiten, Körperspannung oder Haltungsmustern zeigen.
Stress & Reizüberflutung
Kinder, die dauerhaft unter Stress stehen – sei es durch Umweltfaktoren, schulischen Druck oder unausgesprochene familiäre Spannungen – zeigen häufig Schwierigkeiten in der Selbstregulation. Der Körper wird dabei zur Bühne innerer Anspannung.
Fehlende Bewegungsräume
Bewegungsentwicklung braucht Erfahrungsräume. Kinder, die viel Zeit sitzend oder vor Bildschirmen verbringen, verlieren mitunter wichtige Reize für die Entwicklung des Gleichgewichts, der Tiefensensibilität oder des Raumgefühls.
5. Energetische & systemische Einflüsse
Systemische Verstrickungen
In manchen Fällen zeigen sich dyspraxische Symptome im Zusammenhang mit unbewussten familiensystemischen Themen – z.\ B. Loyalitätskonflikten oder übernommenen Belastungen. Hier kann eine systemische Betrachtung klärend und entlastend wirken.
Energetische Dysbalancen (z. B. aus Sicht der TCM)
In der Traditionellen Chinesischen Medizin spielen der Leber- und Gallenblasenmeridian eine wichtige Rolle für Bewegung, Koordination und Entscheidungsfähigkeit. Blockaden in diesen Funktionskreisen können sich in motorischen oder emotionalen Spannungen äußern.
Was bedeutet das für die Begleitung?
Eine ganzheitliche Begleitung bei Dyspraxie setzt an mehreren Ebenen an: Körperlich, emotional, entwicklungsneurologisch, bindungsorientiert und systemisch. In meiner Arbeit kombiniere ich folgende Ansätze:
Frühkindliche Reflexintegration
Integratives Kindercoaching
Kinesiologie & körperorientierte Impulse
Elternberatung & ressourcenorientierte Familienbegleitung
TCM-basierte Ernährung & Wahrnehmungsschulung
Systemische Impulse & Aufstellungsarbeit
Ziel ist es nicht, das Symptom „wegzumachen“, sondern die Bedingungen zu schaffen, unter denen Entwicklung natürlicherweise möglich wird.
Ein individueller Weg
Wenn du Fragen zu diesem Thema hast oder ein Kind begleiten möchtest, das möglicherweise dyspraxische Anteile zeigt, freue ich mich, wenn du dich meldest.
Herzliche Grüße,
deine Gabriela








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